12/12 - 01/13 Bolivien

26. Januar 2013 – Bolivien die Zweite - Die Todesstraße lebt!

Wir haben es selbst erlebt und das ganze sechs Tage lang. Unser zweites Abenteuer in Bolivien sollte eine Tour durch die Pampa sein, drei Tage mit dem Boot durch das Amazonasgebiet. Dafür muss man allerdings erst einmal das kleine  Städtchen „Rurrenabaque“ erreichen und das ist nicht ganz so einfach. Rund 450 Kilometer nördlich von La Paz, liegt es in einem Gebiet, in dem Asphaltstraßen eher weniger vorkommen. Wir erkundigten uns an vielen Stellen in La Paz über den derzeitigen Zustand der „befestigten Erdstraße“, entschieden uns schließlich dafür, es mit dem Schrank zu versuchen und läuteten damit die abenteuerlichste Fahrt der ganzen Reise ein. Mit uns reisten Sylvia, Peer und Uli, drei Berliner, die wir auf dem Platz des Hotel Oberland kennen lernten und die uns nun mit ihren Allradgetriebenen Fahrzeugen in die Mitte nahmen.
Die Führung übernimmt Peer, ausgerüstet mit feinster Navigation, dazu gibt es für jedes Fahrzeug ein Funkgerät, für alle Fälle. Kreuz und Quer geht es erst einmal durch La Paz und dann weiter die Anden hinauf, in eine Höhe von rund 4500 Meter, nur um anschließend die Berge wieder hinunter zu fahren. Insgesamt bewältigen wir an diesem Tag einen Höhenunterschied von über 3000 Metern. Die ersten einhundert Kilometer dieser Strecke sind inzwischen Asphaltiert und ersetzen die weltbekannte „Todesstraße“, die heute für den normalen Verkehr gesperrt ist. Doch auch die Straße nach dem Stück Asphalt kann man getrost als Todesstraße bezeichnen.

Als der Asphalt endet, erwartet uns an diesem Nachmittag ein Polizeiposten, der uns erklärt, dass wir ab nun nicht mehr rechts, sondern links zu fahren haben und extrem vorsichtig sein sollen. Wir wundern uns und verstehen anfangs nicht. Doch nach einigen Kilometern auf der schmalen, in den Berg gesprengten Spur dämmert es uns. Die Straße, so man sie denn so nennen mag, verläuft auf weiten Abschnitten einspurig. In einigen Abständen gibt es Ausweichbuchten, welche stets auf der linken Seite liegen, also auf der Seite wo der Abhang droht. Trotzdem ist es auch an diesen Stellen extrem eng oder es gibt auch keine Ausweichbucht. Da ist es wichtig, dass der Fahrer links aus seinem Fenster schauen kann, um genau zu sehen, wie viele Zentimeter bis zum Abgrund bleiben. Da bekommt das „Vorrausschauende Fahren“ einen ganz neuen Sinn.
Die Straße ist in einem sehr schlechten Zustand und zudem täglich von sechs bis 16 Uhr gesperrt. Grund sind Bauarbeiten, in ferner Zukunft soll auch hier einmal eine geteerte Strecke entstehen. Unglaublich ist, wie die einheimischen Fahrer diese Straße befahren – allen voran die Busfahrer. Wie Getriebene brettern sie mit den vollbesetzten Bussen über die Piste und so um die Kurven, dass wir öfter beobachten, wie das Heck hinten herumgeschleudert wird. Vor nicht einsehbaren Stellen und Kurven wird die Geschwindigkeit nur soweit verringert, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Ansonsten wird gehupt, als Zeichen, dass gleich etwas um die Ecke rast. Viele Kreuze sind am Rand der Straße zu sehen – oder schon den Abhang hinuntergerutscht. Wir schaffen am ersten Abend einige Kilometer auf dieser Strecke, bevor wir noch vor Einbruch der Dunkelheit in einer Parkbucht unser Nachtlager aufzuschlagen.

Den kommenden Tag verbringen wir bis zum Nachmittag an genau dieser Stelle, Sperrung sei Dank! Wir bewundern die unbeschreibliche Natur und eine Gerölllawine, die einige Meter weiter vor uns abgeht und die Straße verschüttet. Wir stellen uns vor, die Straße währe nun befahren gewesen. Irgendwann kommt eine Raupe von der Baustelle rüber und schiebt das Geröll über den Abhang, als sei das ein völlig normaler Vorgang. Die Sperrung wird aufgehoben und wir fahren weiter.

So geht es die nächsten zwei Tage schleppend voran, wir schaffen insgesamt 70 Kilometer, doch die Natur, das spannende Fahren, welches uns schnell auch Spaß bringt und die aufregende Strecke entschädigen für alles. Doch der dritte Tag bringt die Wende. Der Schrank besitzt kein Allrad und hatte sich doch bisher auf allen Untergründen und Steigungen toll geschlagen. Tiefe Pfützen, Schlamm, Schlaglöcher und unsagbarer Staub konnten ihm nichts anhaben, doch als es am dritten Tag nach einer regenreichen Nacht kräftig bergauf geht und die Räder die feste Erde unter einer dicken Schlammschicht nicht mehr erreichen können, ist endgültig Schluss.  Wir kommen weder vor noch zurück und blockieren so die einzige Spur. Dennoch fahren alle nachkommenden Fahrzeuge gnadenlos in den Stau und es beginnt ein einmaliges Hupkonzert. Peer kommt mit seinem Pickup rückwärts den Hang herunter um uns in Schlepptau zu nehmen. Doch anstatt zu warten, fahren ihm mehrere LKW stur hinterher. Währenddessen beschießt Sina, die Situation etwas zu entspannen und steigt aus dem Schrank. Kurze Zeit später hat sie eine passende Stelle gefunden und versinkt Schienbeintief im Schlamm. Ich bemerke ihren Schlammassel durch das laute Lachen vieler Passagiere, die zusammengepfercht auf der Ladefläche eines Lasters stehen und auf Sina herunterschauen. Die gute Stimmung scheint auch weiter hinten in der Schlange angekommen zu sein, denn es entschließen sich einige LKW-Fahrer schwerfällig, rückwärts zu setzen und Peer so die Möglichkeit zu geben, den Schrank, halb auf seinen Rädern, halb auf den Bodenblechen, den Berg hinauf zu ziehen.

Oben angekommen entscheiden wir mit flatternden Nerven, an dieser Stelle den Rückweg anzutreten. Zu gefährlich und ungewiss ist uns eine Weiterfahrt auf einer Straße, auf der selbst 4x4-Fahrzeuge schlingernd über eine schmale Piste rutschen, dem Abhang gefährlich nahe. So fahren wir zurück nach La Paz – ohne weitere Probleme, immer an der Wand lang und mit der Erinnerung an ein wirklich tolles und sehr spannendes Abenteuer.
Das eigentlich geplante Abenteuer, die Pampas-Tour, hatten wir nun allerdings nicht geschafft. So sitzen wir einen Tag nach unserer Rückkehr ins Hotel Oberland in einer Agentur in La Paz und buchen die Tour inklusive Flug. Und inzwischen war sogar die Gruppe gewachsen: Katrin und Beny hatten wir im Oberland schnell überzeugt, mit ins Boot zu springen. Gleich am Morgen darauf geht es zum Airport El Alto. Eine Propellermaschine der Amazonas-Air bringt uns direkt nach Rurrenabaque. Der Flug dauert weniger als 40 Minuten – manche Dinge können so einfach sein. Es ist schwül und sehr heiß in Rurre, wie die Bolivianer die Stadt kurz nennen. Später beginnt es ausgiebig zu regnen. Wir verbringen eine Nacht in einem Hotel, dann geht es am Morgen mit dem Jeep noch einmal einhundert Kilometer in drei Stunden nach Santa Rosa, am Rio Yacuma gelegen, auf dem wir schließlich in einem Langboot auf unsere Tour durch die Pampa des Nationalpark Madidi aufbrechen.

Noch einmal drei Stunden verbringen wir auf dem Boot auf unserem Weg in die Lodge. An den Flussufern auf den Bäumen und im satten Grün entdecken wir viele Vögel und Kaimane, Schildkröten und Affen verschiedener Gattungen und noch so einiges mehr. Auch die rosa Flussdelphine zeigen sich schon kurz, mit ihnen werden wir einen Tag später noch baden gehen. Einige Male stoppt unser Guide Luis das Boot für Fotos. Schon beim ersten Stopp wird klar, was uns in Sachen Moskitos in den kommenden Tagen erwartet. Es ist Regenzeit und zu keiner anderen Jahreszeit gibt es mehr Moskitos. Sie fallen einen in Schwärmen an und schaffen es durch T-Shirts, Jeans uns sogar durch unsere Trekkinghosen zu stechen. Die Hosen hatten wir in der Stoffgasse in La Paz noch nähen lassen, ohne Termin und für umgerechnet 50 Eurocent. In der Stadt hatten wir uns auch noch mit Repellent eingedeckt, einem Spray, welches uns nun einigermaßen hilft, die schlimmsten Angriffe der Moskitos abzuwehren. Zwei Dosen werden wir in drei Tagen auf uns versprühen und doch am Ende ziemlich zerstochen sein. Wir blenden die Moskitos und die Hitze aus und genießen tolle Mahlzeiten und ein tolles Programm. Und Sina bewältigt ein gutes Stück ihrer Spinnenphobie, denn die doch recht ansehnlichen Tierchen verbrachten öfter mal ein wenig Zeit mit ihr gemeinsam auf einer der offenen Toiletten.

Noch am gleichen Abend geht es nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf das Boot. Ich bleibe aufgrund meines Magens an Land, doch Sina schwärmt anschließend von einer Fahrt über den dunklen Fluss, mit den Geräuschen des Urwalds und glühenden Augen von angestrahlten Kaimanen, die Nachts erst richtig aktiv werden. Nach einer Nacht unter dem Moskitonetz geht es morgens wieder früh wieder auf`s Boot – dieses Mal bin auch ich dabei. Wir legen uns an eine Stelle im Fluss, lauschen den Brüllaffen, Vögeln und anderen Geräuschen im Urwald und schauen uns den Sonnenaufgang an. Ein toller Start in den Tag, der so schön und abwechslungsreich weiter geht. Später fahren wir stundenlang weit den Fluss hinauf und bestaunen Tiere und die Natur. Sogar ein Faultier entdecken wir in einer Astgabel. Wir kommen an eine pechschwarze Lagune, das Wasser riecht nach Schwefel und ist nicht einen Finger breit durchsichtig. Hier ist das Wohnzimmer der rosa Flussdelphine, die sich auch sofort in großer Zahlt zeigen. Sina und ich hatten uns fest vorgenommen, hier baden zu gehen und nach einiger Überwindung springen wir in die schwarzen Fluten. Es ist unheimlich zu wissen, dass uns die Delphine unter Wasser bereits umkreisen, doch man sieht nichts. Dann stupst es kräftig, zuerst bei Sina, dann bei mir. Die Delphine spielen mit uns und begnügen sich dabei nicht nur mit Stupsen. Nach einigen Minuten gnabbelt ein Tier mir kräftig an den Zehen. Es ist kein Biss aber doch so kräftig, dass ich noch im Boot spüre, wo der Delphin zärtlich meine Zehen lutschte. Es ist der Zeitpunkt, an dem ich den Drang verspüre, das Wasser zu verlassen und auch die Sina hat genug vom Spiel mit den Delphinen.

Zwei Punkte fallen aus, auf unserer Tour. Wir fangen keine Piranhas und wir sehen keine Anakondas, obwohl wir uns todesmutig über eine Stunde zu Fuß durch die eigentliche Pampa schlagen. Das sind große und ausgedehnte Felder mit hohem Gras. Die Felder werden immer wieder überflutet, wenn der Fluss über seine Ufer tritt und so stapfen wir mit Gummistiefeln durch ein wahres Paradies für Moskitos. Es geht in einen kleinen Wald, in dem es Schlangen geben soll. Doch in der Regenzeit ist die Chance gering, eine Schlange zu Gesicht zu bekommen und auch wir haben kein Glück. Doch wir sind zufrieden. Das Wetter hatte die ganzen Tage perfekt durchgehalten, es gab kaum einen Schauer, stattdessen Sonne satt. Und wir konnten tolle und uns unbekannte Natur und viele unterschiedliche Tiere hautnah erleben.

Der Rückflug nach La Paz hält dann noch eine Überraschung für uns parat. Es beginnt damit, dass unser Abflug mehrmals kräftig nach hinten verschoben wird. Und so sitzen wir am Airport Rurrenabaque und warten. Airport bedeutet in diesem Fall: Eine Baracke zur Abfertigung und ein Kiosk mit kaltem Bier, immerhin! Und einer netten Betreiberfamilie inklusive Hausschwein und grünem Ara, die uns ein bisschen die Zeit vertreiben.
Mehrere Flüge mit den kleinen Propellermaschinen fallen an diesem Nachmittag aus, angeblich weil es auf dem Airport in La Paz Schwierigkeiten gibt. Langsam kommen immer mehr Reisende, die wieder nach La Paz wollen und das winzige Abfertigungsgebäude füllt sich. Dann schließlich die Ankündigung: Gegen sechs kommt eine große Maschine für alle Wartenden gemeinsam. Tatsächlich beginnt um fünf ein stämmiger Typ, die Fluggäste auf verbotene Dinge hin zu kontrollieren. Der Mann setzt ein extrem wichtiges Gesicht auf und eine dazu passende, riesige, verspiegelte Sonnenbrille a la Miami Vice. Die Passagiere stehen brav in einer Reihe vor einer verblichenen Linie auf dem Boden. „Sprechen Sie spanisch oder Englisch“ fragt er dann den zu kontrollierenden Gast. Entscheidet sich der Passagier dann für Englisch, ist das nicht wirklich hilfreich, denn der Mann vom Zoll meint nur, Englisch zu sprechen, tut es aber in Wirklichkeit nicht. Glücklicher Weise sind die Anweisungen auch ohne Worte verständlich. Arme auseinander, umdrehen. Oder: Bitte wieder hinter die wichtige Linie treten, wenn man aus Versehen einen Schritt zu weit nach vorn getrippelt ist. Dabei fährt er mit einem Scanner in großem Abstand und einer Geschwindigkeit um die Passagiere herum, dass ich mir denke, man müsste schon einen Stahlträger bei sich führen, damit das Gerät einen metallischen Gegenstand erkennen würde. Ähnlich genau nimmt es der wichtige Mann mit dem Gepäck. Reißverschluss auf, ein Röntgenblick genügt, fertig. Und als sich der Raum hinter der Kontrolle zu sehr gefüllt hat, gehen wir den gleichen Weg zurück in die Abfertigungshallte, in der weitere Passagiere auf ihre Kontrolle warten. Wäre man also einfach dort stehen geblieben und hätte sich nicht angestellt, das Resultat wäre das gleiche gewesen.

Dann werden wir zur Start- und Landepiste gefahren und dürfen aussteigen. Andere Menschen sind schon da: Unglaublich viel Personal und die Presse, alle warten auf die Ankunft des Fliegers. Dann kommt er. Doppelstrahlig und frisch lackiert. Die Fotografen knipsen, was das Zeug hält. Auch im Flieger, viel Personal und sogar ein Steward, der Sicherheitsanweisungen gibt, dann aber leider während des Fluges still auf seinem Platz sitzt und keinen Kaffee verteilt. „Willkommen“, meldet sich ein gut gelaunter Kapitän. „Ich begrüße Sie auf unserem Flug nach La Paz. Sie haben die Ehre, die ersten Fluggäste zu sein, die mit unserem neuen Jet diese Strecke fliegen.“ Da kommen wir schwer ins überlegen. Das Flugzeug ist voll – um die 30 Passagiere haben sich über den Tag angesammelt. Zwei oder drei Flüge der kleinen Propellermaschinen fielen dafür aus. Doch an Probleme am Flughafen La Paz glauben wir nun nicht mehr. Die Flüge wurden gestrichen, um die große Maschine voll zu bekommen. Ein neuer, gebrauchter Jet mit nur 12 Passagieren – das hätte kein schönes Motiv abgegeben. Was die Passagiere dazu sagen, war dabei wohl nicht so wichtig, schließlich kommen wir ja noch am gleichen Tag an! Ich kann es nicht beweisen, aber in Bolivien kann man sich so etwas vorstellen. Aber uns hat es gut gefallen, gegenteiliger als in Deutschland konnte es nicht sein.

Heute stehen wir schon wieder ein ganzes Stück weiter, in Cusco und freuen uns, Beny und Katrin immer noch bei uns zu haben. Wir werden ein Stück gemeinsam reisen. Seit drei Tagen sind wir in Peru und gleich der erste Tag brachte viele neue Erfahrungen. Dazu gehörten die ersten korrupten Polizisten auf unserer Reise, einen Parkwächter, der neue Schuhe brauchte und Schulkindern morgens in unserem Schrank. Morgen geht es nach Maccu Piccu und wir möchten mit der sogenannten Zip-Line über den Urwald fliegen. Doch dazu mehr beim nächsten Mal!

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06. Januar 2013 – Bolivien die Erste: Von Flamingos, Felsen und Salz

Grüezi aus dem Hotel Oberland in La Paz, Bolivien. Das schweizerisch geführte Haus ist ein Tipp unter Globetrottern und ein großes Glück, denn einen sicheren Stellplatz in und um La Paz zu finden, ist nicht leicht. Wir stehen auf einem geschlossenen Stellplatz für Globetrotter. Alle Einrichtungen des Hotels können wir nutzen, darunter ein toller Sanitärbereich, ein Pool, eine Sauna, ein Grillplatz und und und. Alles für umgerechnet fünf Euro pro Person und Nacht. Was für ein Unterschied zu Argentinien und Chile wo wir manchmal das Gefühl hatten, die Preise seien höher als in Deutschland.
Wie bereits berichtet, verbrachten wir die Tage um Sylvester an eindrucksvollen Orten in Bolivien. Hatten wir anfangs noch überlegt, mit dem eigenen Schrank hoch zum Uyuni-Salzsee zu fahren, entschieden wir uns letztendlich für eine geführte Tour – und bereuten es nicht. Wir buchten bei der Agentur Atacama Mistica, ansässig in San Pedro de Atacama. Die Agentur wird auch in Reiseführern erwähnt. Was sollen wir sagen, die vier Tage waren einfach perfekt – von der Organisation über das Essen bis zu den Übernachtungen gab es nichts auszusetzen.

Gleich morgens früh um sechs werden wir abgeholt, es geht über fünf Stunden in einem Minibus zur Chilenisch-Bolivianischen Grenze wo wir in Jeeps umsteigen. Zu sechst werden wir nun Miguel überantwortet, unserem Fahrer und Guide für die kommenden Tage. Die Guides sind Bolivianer und die Fahrzeuge deren Eigentum. Unser Jeep, ein Toyota Land Cruiser, hatte sicher schon bessere Zeiten gesehen, und das wahrscheinlich in Europa, denn auf einem verblichenen Sticker steht noch geschrieben: „…ein gutes Stück Tirol“. Der Wagen ist der ganze Stolz von Miguel, er putzte und wienerte auch während der Fahrt und gibt genaue Anweisungen, welches der zwei noch funktionierenden Fenster wie weit nach unten zu fahren sind, um sie anschließend auch wieder nach oben zu bekommen. Der Jeep fährt uns nun jeden Tag an eindrucksvolle Orte und in wortwörtlich schwindelerregenden Höhen.

Erster Tag: Besichtigung einiger Felsformationen und mehrerer Lagunen mit großen Kolonien von Flamingos. Es geht durch das Bolivianische Altiplano, eine Wüstenartige Landschaft in Höhen von durchschnittlich 3600 Metern und voller Vulkane, manche davon auch heute noch aktiv. Es ist unsagbar trocken in dieser Gegend, in der es so gut wie niemals regnet. Lavagestein wird vom Sand, der vom Wind gepeitscht über die trockenen Ebenen zieht, in faszinierende und abstruse Formationen geschliffen. Immer wieder erkennen wir Grimassen, Masken, Gesichter und Gestalten darin, vielleicht seht ihr sie auf den Fotos ja auch. Abseits der Fahrwege wurden nur wenige Stellen hier je von Menschen betreten. Wir fahren still im Jeep durch diese Landschaft und wenn man etwas weiter von der Piste entfernt auf die Hänge und Ebenen schaut, die noch niemals jemand betreten hat, auf Steine, die dort wahrscheinlich seit Jahrtausenden unverändert liegen und auf die unzähligen verschneiten Berggipfel Drumherum, kommen schon sehr seltene Gefühle auf. Ich persönlich fühlte bei diesen Fahrten eine Art Endlichkeit, man fühlt sich klein und gleichzeitig erleichtert, denn angesichts dieser wilden urzeitlichen Landschaft kommen einem eigene Probleme doch eher lächerlich vor. Andererseits fühlt man sich auf eine Art erhaben, so etwas betrachten und bewusst wahrnehmen zu dürfen. Das Ganze ist vielleicht vergleichbar mit einem langen Blick in einen sternenklaren Himmel bei Nacht.
Dann die Flamingos. Über sie kann ich nicht viel schreiben, da sagen Bilder mehr als tausend Worte. Nur vielleicht so viel: Wenn man noch nie einen Flamingo in freier Wildbahn gesehen hat, kann man froh sein, heutzutage eine Digitalkamera zu besitzen. Ich habe wohl noch nie ein Motiv derart oft fotografiert – selbst die Wale auf Peninsula Valdes kommen da nicht hinterher. Einige schöne Bilder sind dabei herausgekommen.

Die Nacht verbringen wir in einem Hostel im Nichts auf einer Höhe von gut 3000 Metern Höhe. Sina und ich haben Glück. Wir haben bemerkt, die Höhe ganz gut wegstecken zu können. Wir hörten von einem anderen Pärchen, die keine Höher gelegenen Orte mehr besuchen können,  seit die Höhenkrankheit zu Atemnot und Erstickungsangst führte. Mich plagen an diesem Abend etwas Kurzatmigkeit, ein leichter Schwindel und ein leichter Kopfdruck. Doch wir schlafen bestens auf den Steinbetten, aus denen wir morgens um halb fünf schon wieder emporsteigen. Noch vor Sonnenaufgang geht es richtig hoch, auf 5000 Meter zu einem großen Geysirfeld. Am schönsten und aktivsten sind die Fontänen und Dunstschwaden morgens, wenn die Sonne aufgeht und es noch kalt ist. Und in dieser Höhe ist es richtig kalt – obgleich Sommer erreichen wir die Geysire bei Minusgraden.
Heißer Dampf schießt mit Hochdruck aus der Erde und ist doch schon so erkaltet, dass man ohne weiteres hindurch springen kann. Daneben schießen heißere Fontänen von Wasser oder Dampf aus dem Boden, denen man besser nicht zu nahe kommt. Auch die blubbernden Schlammquellen beobachten wir lieber mit einigem Abstand.

Zurück geht es zum Hostel und nach dem Frühstück zu weiteren Lagunen, alle in unterschiedlichen Farben und dementsprechenden Namen. Wir besuchen die Laguna Verde, die Laguna Colorado oder auch die Laguna Azul. Viele tolle Orte sehen wir noch an diesem Tag von denen die Fotogalerie erzählt, doch das Highlight erwartet uns am Abend. Schon nahe an der Hauptattraktion, dem Uyuni-Salzsee, übernachten wir in einem Salzhotel. Wirklich alles ist hier aus Salz gebaut: Das Haus, die Tische und überhaupt sämtliche Einrichtungsgegenstände wie auch unsere Betten. Zu unserer großen Freude bekommen die Pärchen ein Doppelzimmer und müssen nicht im Dorm schlafen. Noch vor der Abreise hatten Sina und ich einen Plan gefasst: In jedem Land wollen wir für eine Nacht aus unserem Schrank in ein richtiges Hotel ziehen. Für Bolivien hatten wir das Hotel an diesem Abend gefunden – wir überlegen nicht lange und buchen unser privates Bad dazu. Wie romantisch – vor allem, weil Strom in diesen Gegenden sehr kostbar ist. Gegen halb zehn hört der Generator auf zu brummen, die nackte Lampe an der Decke erlischt, doch wir haben noch unsere Kerze auf dem Nachttisch aus Salz.

Auf den kommenden Tag haben sich alle besonders gefreut: Endlich geht es zum Salzsee Uyuni. Sehr schnell nach dem Frühstück kommen wir dort an und fahren erst einmal lange Zeit über die weiße Oberfläche bis wir die Isla Incahuasi erreichen, die Insel der Kakteen. Ich lerne dazu: Kakteen werden nicht nur ganz schön groß, sondern auch Steinalt. Der größte Kaktus der Insel starb im Jahre 2007, wurde 12 Meter groß und 1203 Jahre alt. Zurück auf dem rund 10.000 Quadratkilometer großen Salzsee machen wir uns bereit für eine besondere Fotosession. Ganz besondere Bilder lassen sich auf einer derartig großen weißen Fläche schießen. Leider ist die Zeit hier etwas knapp bemessen und blöder Weise ereilen uns noch zwei Ereignisse, die uns anderweitig in Anspruch nehmen.

Los geht es mit mir. Ich habe keinen sonderlich fetten Hintern und muss die Hose, vor allem seit wir auf Reisen sind, mit einem Gürtel fixieren, um sie nicht zu verlieren. Es handelt sich um eine neue und sündhaft teuere Trekkinghose, mein ganzer Stolz. Und dennoch – als ich mich hinhocke um ein Bild von der Sina in ihrem salzigen Glück zu schießen passiert es: Ratsch! Die Naht am Hintern löst sich spontan auf voller Länge auf und wie ein Vorhang öffnen sich die beiden Lagen Stoff. Dahinter, auf der Bühne sozusagen, präsentiert sich mein Schlüpper, an diesem Tag ist es ein rot-weiß-gestreifter, wunderbar und sehr farbenfroh in dieser, ansonsten so weißen Umgebung. Ich bemühe mich, diesem Schauspiel schnell ein Ende zu setzen. Nachdem Miguel auf das Dach des Jeeps geklettert ist, um dort eine Plane zu entfernen, damit ich an meinen dortig verstauten Rucksack und der darin verborgenen Zweithose komme, sind die anderen bereits wieder mit Fotoarbeiten beschäftigt. Aber noch langt es dem Schicksaal nicht. Als alles wieder im Lot ist, die Taschen wie mein Hintern verstaut und Miguel nicht mehr genervt, macht Sina einen Handstand. Ratsch! Bei ihr geht der Riss vom Knie bis in den Schritt. Miguel kann seine Augen kaum bei sich behalten. Zum Glück hat auch Sina eine Ersatzhose dabei, den Rest kann man sich denken.

Der Silvesterabend hält für uns dann eine Überraschung bereit. Sollten wir eigentlich schon Richtung Chilenische Grenze und zurück nach San Pedro de Atacama gebracht werden, bleiben wir nun doch in der Stadt Uyuni. Für uns zuerst ein kleiner Schock. Die Unterschiede zwischen Chile und Bolivien sind riesig. Chile ließe sich, meiner Meinung nach, auch in Europa integrieren, in mancher Hinsicht ist es moderner als Deutschland, wirtschaftlich gesund und fortschrittlich. Als wir durch die Vorstadt der Bolivianischen Stadt Uyunis fahren bemerken wir die teilweise krasse Armut im ärmsten Land Lateinamerikas. Der Müll türmt sich an den Straßenkreuzungen, die Straßen selbst sind kaum befestigt und teilweise schwer zu befahren. Unverputzte Häuser stehen neben Ruinen. Hier werden wir also Silvester verbringen. Wir fahren weiter und besuchen noch einen Eisenbahnfriedhof um ein paar tolle Bilder zu schießen, dann geht es in die Innenstadt Uyunis. Hier steigt die Stimmung wieder und es macht sich noch einmal die tolle Organisation der Agentur bemerkbar. Sie hat bereits ein Zimmer in einem schönen Hotel in der Hauptstraße für uns gebucht und wir bekommen noch 20 Bolivianos für ein Abendessen. Das entspricht zwei Euro und dafür bekommt man auch ein Abendessen, Bolivien ist unschlagbar günstig. Gemeinsam mit einem Schweizer Pärchen gehen wir auf Erkundungstour. Die Innenstadt ist gar nicht mehr so beängstigend, es wird für eine große Sylvesterparty aufgebaut. Wir besuchen einen riesigen Markt. Unglaubliche Mengen an Obst und Gemüse gibt es dort, Gewürze, Kräuter und Nüsse in große Säcken, Pasta, ebenfalls in großen Säcken und alle Sorten Fleisch und Geflügel, alles ungekühlt, versteht sich. Auch Cocablätter kann man auf solchen Märkten kaufen oder Dynamit, wenn sie in der Nähe einer Mine liegen oder auch getrocknete Lamaföten, diese sollen Glück bringen. Später sitzen wir in einem Restaurant und  verspeisen Lamasteaks, köstlich! Schnell sind wir mehr als müde und gehen vor dem Jahreswechsel ins Bett.

Der nächste Tag ist nur insofern spannend, als das wir einen neuen Fahrer bekommen, der uns bis an die Grenze bringen wird. Wir sind gespannt – es war Sylvester und es wurde gefeiert. Und leider werden unsere Befürchtungen bestätigt. Martin hat eine ziemliche Fahne und ist nicht gerade gesprächig. Der erste Stopp ist gleich im nächsten Ort, wo sich Martin und zwei weitere Fahrer mit großen Tüten Cocablätter und einigen Red Bull versorgen. Nach einer halben Stunde hat Martin volle Wangen und eine deutlich bessere Stimmung. Er fährt nun sicherer, aber ich habe dennoch Angst, als wir mit bis zu 120 km/h über die Lehmstraße Richtung Grenze brettern. Es ist wie im Film, als auch noch sein Handy klingelt und es ihm herunterfällt. Bei dieser Geschwindigkeit auf solch einer Piste fängt er tatsächlich an zu suchen, meine Angst steigt, zum Glück hat sein Jeep Gurte. Kurz vor der Grenze sehen wir dann, wie zum Beweis, einen Jeep, der sich überschlagen haben muss. Vor vier Tagen stand er noch nicht an dieser Stelle. Ein einfaches Kreuz steht daneben. Traurig, was wohl aus den Insassen geworden ist – weit und breit gibt es dort kein Krankenhaus. Noch einige Minuten und wir sind an der Grenze. Ich erinnere ihn an Oliver Kahn, sagt dort der etwas breitere und grinsende Grenzbeamte auf dessen Jacke ein selbstgebasteltes „Policia“-Schild prangt. Da ist auch meine Stimmung wieder gestiegen.

Zurück geht es nach San Pedro de Atacama. Schon am nächsten Tag fahren wir weiter,  aus der heißen Wüste an den Pazifik und die Küste hinauf bis nach Arica um von dort aus wieder in die Anden zu reisen. Zwei Tage verbringen wir dort zu Akklimatisierung in Putre, einem Dorf, rund 3500 Meter hoch in den Anden und kurz vor der Grenze zu Bolivien. Dann geht es im eigenen Schrank in das Land. Frühmorgens brechen wir auf, um auf jeden Fall das Hotel Oberland in La Paz bei Tageslicht zu erreichen. Es ist eine schöne Fahrt durch die Anden, teilweise geht es auf Höhen von 4700 Metern. Alles fällt dort oben schwer, wenn man diese Höhen nicht gewohnt ist. Als ich an einer abgelegenen Stelle unserer Toilette entleere (eine rein natürliche Masse) komme ich schwer außer Atem. Ganz ähnlich geht es unserem Schrank, auf den wir auch in dieser Hinsicht richtig stolz sind. Am schwierigsten ist es, den Motor morgens auf Betriebstemperatur zu bringen. Es ist nicht genug Sauerstoff vorhanden um den Diesel richtig zu verbrennen. Es qualmt wahnsinnig schwarz und weiß, je nachdem, welche Leistung gefordert ist. Motoraussetzer sind normal. Doch dann geht es sehr schnell und man hat nicht mehr mit zu wenig, sondern zu viel Temperatur zu kämpfen. Inzwischen haben wir drei den Dreh raus. Auch in großen Höhen schaffen wir anständige Geschwindigkeiten, die ausreichen, um LKW zu überholen. Gerade Strecke geht mit 60 oder sogar 70, bergauf manchmal auch nur 30 und einer schwarzen Fahne hinter uns, als hätten wir ein altes Dampfross und keinen Diesellaster als Fahrzeug. Das Ganze dann gern auch mal bei voll aufgedrehter Heizung und brüllendem Lärm, denn ab einer bestimmten Motortemperatur öffnen wir auch die Motorklappe, die sich bei unserem Schrank ja zwischen den Sitzen befindet. Ziemlich praktisch, ziemlich laut und unglaublich heiß – für uns, nicht für den Motor!
So stehen wir nun in La Paz und freuen uns schon sehr auf eine weitere Tour, für die wir morgen in einen Flieger der Amazonas Air steigen. Dann geht es nach Rurrenabaque, einer kleinen Stadt im Norden Boliviens. Dort starten wir dann eine Tour mit dem Boot über einen Fluss durch das Amazonasgebiet. Piranhas angeln, mit pinken Delfinen schwimmen, Anakondas sehen und am Seil in den Fluss springen – all das hat man uns versprochen, wir sind gespannt. Die letzte Woche haben wir übrigens versucht, Rurrenabaque mit dem Auto zu erreichen. Am vierten Tag kehrten wir um. Es ist die Strecke der ehemaligen Todesstraße. Die eigentliche Todesstraße ist heute gesperrt, doch die Straßen, auf denen wir fuhren, können schlimmer nicht sein. Es war ein heftiges und großes Abenteuer – doch davon beim nächsten Mal!

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